Dieser Text ist von einer Gruppe, die es sich vorbehält anonym zu bleiben.

Wir – eine Gruppe, die sich an den Protesten gegen die verschwörungsideologische Demonstration ‚Querdenken‘ in Mainz am 24. Oktober beteiligt hat – wollen uns zu den Ereignissen rund um diese Demonstration äußern. Anhand unserer Erlebnisse am Samstag wollen wir die mediale Berichterstattung, die in diesem Fall journalistischen Standards nicht entspricht, korrigieren und der Öffentlichkeit ein Gegenbild präsentieren. Bisherige Berichterstattungen erweckten bei uns den Eindruck, dass lediglich der Polizeibericht kopiert worden war.
Faschist*innen blockieren – immer und überall! Für uns ist klar, dass wir in Mainz keine faschistischen Demonstrationen, Aktionen oder sonstiges Agieren dulden. Sowohl im Alltag als auch im Fall solcher Demonstrationen oder Aktionen bedeuted solidarisches Handeln für uns immer auch eine antifaschistische Haltung und der Kampf gegen Faschismus jeder Form. In den letzten Jahren ist es uns dadurch gelungen, dass Faschist*innen in Mainz weder Fuß fassen, noch sich organisieren oder gelungene Demonstrationen durchführen konnten.


Quergedachter Faschismus?!

‚Querdenken‘ ist ein merkwürdiges Konglomerat aus Esoteriker*innen, besorgten Bürger*innen, Antisemit*innen und organisierten Faschist*innen. Auf den ersten Blick waren Letztere auf der Demo in Mainz eher marginal vertreten – dennoch waren unter anderem ein ‚FCK ANTIFA‘-Pullover zu sehen, der unter extremen Rechten beliebt ist. Außerdem sprach mit Gabriele Bublies-Leifert ein Ex-AFD Mitglied, das die AfD aufgrund fehlender Beitragszahlungen verlassen musste [1]. Trotz der geringen Vertretung organisierter Faschist*innen auf der Demonstration am 24. Oktober sehen wir, dass sich diejenigen Teilnehmer*innen, die keine organisierten Faschist*innen sind, sich nicht von ebenjenen abgrenzen. Damit verstehen wir ‚Querdenken‘ als eine Demonstration, bei der Faschist*innen teilnehmen und geduldet werden – wenn nicht gar gewünscht sind.


Quergedachter Antisemitismus?!

Darüber hinaus ist auch das quere Denken, das von der Demonstration ausgeht, extrem gefährlich. Scheinbar geeint in ihrem selbstbezeichneten Widerstand gegen die Coronamaßnahmen ist die Grundlage des Protests der Glaube an Verschwörungsideologien. Die Vereinfachung durch personalisierte Schuldzuweisungen ist eine zentrale Funktionslogik von Verschwörungsideologien, die sich in Schuldzuweisungen gegenüber Jüdinnen*Juden oder Migrant*innen äußert. Eine Andere, daraus resultierenden, ist ein Schwarz-Weiß-Denken: Die Anhänger*innen von Verschwörungsideologien können durch Personalisierungen klar Feind und Freund unterscheiden und begreifen sich und die weiteren Anhänger*innen täglich im Kampf gegen „Die da oben“. Der Kampf gegen ‚Die da oben‘ klingt zunächst nach einer antiautoritären Einstellung, die autoritäre Verhaltensweisen analysieren und entsprechende Institutionen zu bekämpfen gedenkt. Für uns ist wiederum klar, dass personalisierte Schuldzuweisungen gegenüber Jüdinnen*Juden und Migrant*innen eine verkürzte und mangelhafte Analyse autoritärer Verhältnisse ist, die sich eben nicht in einem antiautoritären Verhalten, sondern in Unterdrückungsverhältnissen gegenüber Jüdinnen*Juden und Migrant*innen äußert. Der propagierte Kampf gegen ‚Die da oben‘ ist eine klassisch antisemitische Einstellung, deren Konsequenzen wir in ihrer Radikalität bei den Anschlägen in Halle und Hanau wahrnehmen mussten. Wir wissen, dass jegliche Form von Verschwörungsideologie nicht ohne eine antisemitische Grundlage auskommt und es zu einer groben Gefahr für Jüdinnen*Juden kommt, wenn Verschwörungsideologien an Rückhalt gewinnen. Antisemitische Straftaten stiegen bereits letztes Jahr um 13% an.


Quergedachte Freiheit?!

Welche Konsequenzen verschwörungsideologisches Denken auch haben kann, sahen wir nur wenige Stunden nach der Demo am Samstag in Mainz – in der Nacht auf den 25. Oktober – als das Robert-Koch-Institut in Berlin mit Brandsätzen angegriffen wurde[2] und ein weiterer Sprengsatz gezündet wurde [3]. Dass eine Gesundheitsbehörde angegriffen wird ist nicht zuletzt Demonstrationen wie der in Mainz zu ‚verdanken‘ und zeigt für uns, dass ‚Querdenken‘ und die von ihnen beeinflussten Menschen in ihrem vermeintlich antiautoritären Denken ein paar Mal falsch abgebogen sind. Auch das propagierte Verständnis von Freiheit und Widerstand ist in keinster Weise nachvollziehbar. Unsere Freiheiten im Alltag werden durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht so eingeschränkt wie durch zahlreiche Unterdrückungsverhältnisse, gegen die sich ‚Querdenken‘ nicht positioniert. Freiheit funktioniert nur solidarisch, denn niemand ist frei bevor nicht alle frei sind. Während für ‚Querdenken‘ die Antwort scheinbar in maskenloser Liebe besteht, ist unsere Antwort auf Unterdrückungsverhältnisse Solidarität, Antifaschismus und der gemeinsame Kampf gegen jegliche Form der Unterdrückung.

Freiheit nur den Starken?!

Das Ablehnen des Mund-Nasen-Schutzes ist unsolidarisch gegenüber allen Mitmenschen, die sich nicht mit Covid-19 infizieren wollen – insbesondere gegenüber gesundheitlich Schwachen und den sogenannten ‚Risikogruppen‘, bei denen eine Infizierung tödlich enden könnte. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, das Halten von Abständen, das Verzichten auf Reisen ect. kann ein Akt der Solidarität sein, der uns und anderen Menschen Freiheiten ermöglicht. Die Abkehr und Nicht-Akzeptanz von den Maßnahmen des Infektionsschutzes wiederum fügt sich in ein sozialdarwinistiisches Narrativ ein. Debatten seit Beginn der Pandemie stellen häufig ein Kosten-Nutzen-Verhältnis auf, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie unter Gesichtspunkten der Einschräkung persönlicher Freiheiten oder ökonomischer Einbußen kritisiert und dabei Menschenleben aufrechnet. Unlängst vertrat der texanische Gouverneur Dan Patrick Anfang März die Position das Leben der Rentern*innen zu opfern um den Shutdown der Wirtschaft zu verhindern. Auch in der hiesigen Parteienlandschaft gibt es Diskussionen darum, die vermeintliche Risikogruppen stärker in ihren Freiheitsrechten einzuschränken. Das Ziel dahinter ist das Vermeiden wirtschaftlicher Einbrüche; der Barbesuch oder das Einkaufen steht dann nur den gesunden und jüngeren Menschen zu. Solche Argumentationen sprechen Menschen ihre Gleichwertigkeit ab und werden zum Fundament von politischen Ideologien der Ungleichheit. Neben antifaschistischen Gründen haben wir daher ‚Querdenken‘ auch blockiert, weil es unverantwortlich wäre, dass eine Demostration mit rund 150 Teilnehmer*innen, die mehrheitlich keinen Mund-Nasen-Schutz (MNS) trugen und keine Abstände einhielten, an einem Wochenende, an dem der Inzidenzwert für Mainz bei über 100 lag [4], durch Mainz laufen könnten. In dem Bewusstsein, dass weder Mindestabstände noch die Pflicht zum Tragen eines MNS eingehalten werden, hätte die Demonstration nicht vom Ordnungsamt erlaubt werden dürfen. Aber wir wissen, dass wir uns beim Kampf für die befreite Gesellschaft und dem Kampf gegen jene, die diese Gesellschaft mit allen Mitteln verhindern wollen, nicht auf den Staat und seine Organe verlassen können.


Polizei auf Tuchfühlung mit ‚Querdenken‘

Dementsprechend hatten wir eigentlich keine großen Erwartungen an das Vorgehen der Polizei und des Ordnungsamts. Die Polizei hat am Samstag – mal wieder – gezeigt, was sie so kann: Faschist*innen gewähren lassen und Antifaschist*innen mit Repressionen belegen und dabei auch noch den öffentlichen Diskurs vermeintlich neutral beeinflussen. Wir haben gesehen, dass – wie so oft – die Polizei antifschistischen Protest kriminalisiert während ‚Querdenken‘ ihre Demo abhalten konnte, obwohl viele Menschen dort keinen Mund-Nasen-Schutz trugen und Abstände nicht eingehalten wurden. Wir kritisieren, dass laut Aussage eines Bullens stichprobenartig kontrolliert wurde, während alle Personen hätten kontrolliert werden müssen. Darüber hinaus gibt es unzählige Berichte über die Fragwürdigkeit dieser Atteste [6] und es gab den Anschein, dass die Polizei die Echtheit der Atteste nicht nachprüfte. Wir wiederum haben konsequent bei den Gegenprotesten und Sitzblockaden Mund-Nasen-Schutz getragen und Abstände eingehalten. Dadurch war für viele Passant*innen schnell ersichtlich, welche Gruppe rechts steht und welche links sitzt. Wir haben mit Freude festgestellt, dass unser Protest von allen Passant*innen positiv aufgenommen wurde.

Einmal möglichst viele Daten, bitte!

Wir wollen auch das Vorgehen der Polizei bei der sogenannten Identitätsfeststellung kritisieren. Die erste Blockade in der Nähe des Kaisertors wurde freiwillig nach der zweiten Durchsage der Polizei aufgelöst und es ist daher fraglich, ob die Beteiligten die Versammlung von ‚Querdenken‘ grob gestört haben – was der Vorwurf seitens der Polizei ist. In der Großen Bleiche wiederum hat die Polizei die Blockierenden bereits direkt nach der ersten Durchsage gekesselt und später die Personalien festgestellt. Der Grund für diese Identitätsfeststellung ist wiederum das vermeintlich grobe Stören der Versammlung durch die erste Blockade. Hierbei wurde Videomaterial der Polizei von der ersten Blockade gesichtet und auf dessen Basis wurden die Personalien der Beteiligten festgestellt. Wir sehen es als problematisch, dass die erste Blockade von Beginn an durch die Polizei abgefilmt wurde, während erst mit der ersten Durchsage darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ebendas stattfindet. Darüber hinaus wurde – mit der Personalienfeststellung einhergehend – jede*r Beschuldigte*r erneut gefilmt, obwohl dem mehrmals widersprochen wurde. Das Vorgehen der Polizei steht auf wackeligen Beinen und es wirkt auf uns so, als würden Vorwürfe konstruiert, um den Gegenprotest zu kriminalisieren und delegitimieren. Zynisch, dass gerade wir es waren, die mit der Blockade die Demonstrationsroute von ‚Querdenken‘, die die Demostrationsauflagen nicht einhielten, verkürzt haben und damit wenn mensch so will – ohne das mit diesem Motiv zu beabsichtigen – den Job der Polizei übernommen haben. Von einer „deeskalierende[n], kommunikative[n], transparente[n] und erklärende[n] #Polizei“ [7] haben wir im Gegensatz zum Leiter des Führungsstabs im Polizeipräsidium Mainz Heiko Arndt jedenfalls wenig mitbekommen.
Polizeiliche WahrheitspolitikWir haben auch feststellen müssen, wie die Polizei in ihrer Pressemitteilung [5] nicht alle Fakten darlegt, gezielt Informationen auslässt oder Sachverhalte beschönigt. Korrekt ist, dass von „Kommunikationsbeamten der Mainzer Polizei mehrfach auf die Einhaltung der Hygienevorschriften hingewiesen [wurde]“, diese Hinweise aber – wie sich gezeigt hat – nicht dafür gesorgt haben, dass ebendiese Vorschriften umgesetzt wurden. Es ist teilweise korrekt, dass von „Polizei und Kräften des Rechts- und Ordnungsamts der Stadt Mainz […] Personenkontrollen auf Grund von möglichen Verstößen durchgeführt [wurden]“, diese aber mangelhaft nur stichprobenartig durchgeführt wurden. Dadurch konnten gar nicht alle „Personen, die weder ein ärztliches Attest vorzeigen konnten, noch eine Mund-Nasen-Bedeckung trugen, […] von der Versammlung ausgeschlossen [werden]“ wie es die Polizei mitteilen lässt. Vermutlich wäre in diesem Fall die Demo deutlich kleiner gewesen. Gezielt hat die Polizei ausgelassen, dass nicht nur die Identitäten der Blockierenden festgestellt, sondern diese auch bei der Identitätsfestellung gefilmt wurden.


Kritischer Jouralismus ist mehr als copy paste

Daran anschließend wollen wir zuletzt die mediale Berichterstattung kritisieren. Neben dezidiert antifaschistischen Journalist*innen haben wir ausschließlich einen Journalisten von Reuters im Rahmen der Demo wahrgenommen, der einen Videobeitrag gedreht hat [8]. Insbesondere von lokalen Medien wie der Allgemeinen Zeitung oder dem Merkurist fehlte jede Spur. Ohne sich also ein Bild von der Situation vor Ort gemacht zu haben, haben AZ [9] und Merkurist [10] die Pressemitteilung der Polizei unhinterfragt übernommen. Das kennen wir zu Genüge, entspricht aber auch nach mehrmaligem Wiederholen immer noch nicht journalistischen Standards. Wir erwarten von einem Journalismus, dass er kritisch ist und damit geht eine kritische Reflexion und Überprüfung von Quellen dazu – gerade, wenn die Quelle eine Pressemeldung der Polizei ist. Die Polizei erlangt hier unhinterfragt Deutungshoheit, der es durch die Sprachrohe AZ und Merkurist ermöglicht wird, unberechtigter- und fälschlicherweise den öffentlichen Diskurs einseitig zu beeinflussen. Wir erwarten, dass nicht nur von unserer ‚groben Störung der Versammlung‘ berichtet wird, sondern auch unser konsequentes Einhalten von Abständen und das Tragen von Mund-Nasen-Schutzen thematisiert wird. Damit einhergehend fordern wir eine kritische Berichterstattung darüber, dass von Anfang bis Ende eben dies bei ‚Querdenken‘ nicht der Fall war und die Polizei sich in keinster Weise dafür interessiert hat. Journalist*innen vor Ort hätten auch gesehen, dass die Sitzblockaden freiwillig aufgegeben wurden und, dass das Verhalten der Polizei rechtlich fragwürdig war. Und wenn ihr schon unbedingt Zeilen vollkriegen wollt, dann bedankt euch doch wenigstens dafür, dass wir Nazis nicht durch Mainz laufen lassen.
Sollte ‚Querdenken‘ mal wieder aufschlagen, werden wir das auch tun. Entschlossen, solidarisch und antifaschistisch. Ihr hoffentlich auch.

[1] https://twitter.com/AlexwiMann/status/1319989698052448258

[2] https://www.spiegel.de/panorama/robert-koch-institut-unbekannte-warfen-brandsaetze-gegen-rki-gebaeude-a-d74fbbcc-40b0-485c-8f2d-931a16860bb4

[3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/berlin-gegner-der-corona-massnahmen-zuenden-sprengsatz-a-00000000-0002-0001-0000-000173743539

[4] https://www.corona-in-zahlen.de/landkreise/sk%20mainz/

[5] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117708/4743517?utm_source=twitter&utm_medium=social

[6] https://rp-online.de/panorama/coronavirus/innenministerium-warnt-vor-fake-attesten-gegen-maskenpflicht_aid-52909609

[7] https://twitter.com/HeikoArnd/status/1320023996973404160

[8] https://www.youtube.com/watch?v=BNgf3ey4AoM

[9] https://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/nachrichten-mainz/kundgebung-der-querdenker-und-gegenkundgebung-in-mainz_22481484

[10] https://merkurist.de/mainz/einsatz-corona-verstoesse-und-sitzblockaden-stadt-zieht-fazit-nach-versammlungen-in-mainz_BGy