Wie können wir gegen Querdenken, Coronaleugner*innen und Rechtsaußen-Schulterschlüsse vorgehen?


Seit Beginn der Pandemie ist gut zu beobachten, wie die rechte Organisation Querdenken und ihre Untergruppen sich mehr und mehr den öffentlichen Raum nehmen. Ihre Aktionen reichen von Flyer verteilen (bspw. Durch den Verein „Freiheitsboten“) und Anbringen verschwörungsideologischer Botschaften in der Öffentlichkeit (Dday- eine Telegramgruppe worüber sich zu Kleingruppenaktionen vernetzt wird), über Autokorsos (genannt „Freiheitsfahrer“), bis hin zu (Groß-)Demonstrationen (bspw. Eltern Stehen Auf und Querdenken). Nach unserer Beobachtung ist es bisher keiner Linken Gegenbewegung geglückt, dieser Entwicklung etwas Nachhaltiges entgegenzusetzen, auch wenn es bereits einige vielversprechende Ansätze gab und gibt. 
In Mainz beobachten wir die Aktivitäten der selbsternannten Bewegung „Querdenken“ von Beginn an. Da der Großteil der Vernetzung und Mobilisierung in verschiedensten Telegramkanälen geschieht, sind wir von Anfang an stille Mitleser*innen. Der folgende Text schlägt Strategien vor, die unserer Meinung nach im Kampf gegen verschwörungsideologische Gruppen und Organisationen wirkungsvoll sein können. Er beruht auf der Analyse der oben erwähnten Telegramgruppen, sowie den Beobachtungen von Demonstrationen sogenannter Querdenker*innen in Mainz und Umgebung. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass sowohl das Motiv, als auch das Milieu, in dem sich bestimmende Figuren bewegen, je nach Region deutschlandweit unterschiedlich ist. So sind in Sachsen eher Neonazis bestimmende Akteur*innen,  während in Rheinland-Pfalz eine Mischung aus AfD-nahem Milieu, Verschwörungsideolog*innen, Reichsbürger*innen sowie einzelner, zuvor nicht politisch organisierter Akteur*innen federführend ist. 
Dieser Text soll als Debattenbeitrag zum Umgang mit dieser reaktionären Agitation verstanden werden. Er stellt unsere Idee davon dar, wie Querdenken perspektivisch die Mobilisierbarkeit entzogen werden kann. Wir stützen unsere Strategie auf drei Säulen. Beginnen werden wir mit einem Plädoyer für antifaschistische Recherche, um bestimmende Akteur*innen heraus zu  kristallisieren und aus der Deckung zu holen. Außerdem braucht es eine sichtbarere linke Kritik im öffentlichen Diskurs, was die zweite Säule darstellt. Zum Schluss gehen wir auf die Notwendigkeit von antifaschistischer Gegenmobilisierung auf der Straße ein. Im Grunde sind dies die drei Eckpfeiler antifaschistischer Arbeit. Die (radikale) Linke darf dieser autoritären Formierung nicht kampflos die Straße überlassen.

  1. Säule: Recherche

Von den Säulen unserer Strategie, ist die antifaschistische Recherchearbeit unserer Einschätzung nach am besten aufgestellt. Deutschlandweit konnten bisher prägende Figuren ermittelt werden. Dadurch gelang auch ein besseres Verständnis von Strukturen und Hierarchien. Gleiches gilt für Mainz. Die meisten wichtigen Personen konnten identifiziert, die politische Ausrichtung und die Motive beschrieben, sowie Querverbindungen zur AfD und dem Reichsbürger_innenspektrum offengelegt werden. Natürlich ist dieser Prozess nie abgeschlossen. Es kommen immer wieder neue Akteur*innen hinzu, Alte ziehen sich zurück. Gleichzeitig wissen wir, dass es in allen Regionen Rechercheteams gibt und die Vernetzung untereinander immer besser funktioniert. Informationen zu prägnanten Akteur*innen finden sich unter anderem auf dem Social Media Dienst Twitter. Für das Rhein-Main-Gebiet haben z.B. das Bündnis „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ (www.Asvi.noblogs.org) aus Frankfurt und der Rechercheblog „Rechte Umtriebe Mainz“ (www.rechte-umtriebe-mainz.eu) Ergebnisse zusammengetragen. Ein regelmäßiger Blick auf die Webseiten lohnt sich auf jeden Fall. Viele Infos müssen jedoch weiterhin sortiert und eingeordnet werden, wodurch die Übersichten kontinuierlich wachsen werden.

2. Säule: Eigene Inhalte im Diskurs (voran)bringen

Nach einem Jahr Pandemie und inkonsequenten Maßnahmen der Regierenden, leiden  viele Menschen an den Konsequenzen und müssen um ihre Existenzen bangen. In der aktuellen Coronapolitik heißt es einmal mehr in unserem kapitalistischen System: „Profite vor Menschen“. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie richten sich vorwiegend auf das Private und beschränken sich auf autoritäre Symbolpolitik, wie nächtliche Ausgangssperren oder auch die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung an wenig belebten Orten im Freien. Für die Industrie bleibt es bei Empfehlungen. Durch diese Inkonsequenz in den Maßnahmen, verlängern wir unnötig von Monat zu Monat den sogenannten „Lockdown Light“. Parallel wird versäumt zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln, sodass in Pandemiezeiten Schüler*innen sicher in die Schule gehen oder kleine Geschäfte wieder öffnen können. All dies spielt dem Mobilisierungspotential von Querdenken in die Hände.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Querdenken seit einem Jahr „Antworten“ in den öffentlichen Diskurs und auf die Straße bringt. Natürlich beschränkt sich Querdenken hierbei auf eine Aufhebung aller Maßnahmen hin zur alten „Normalität“ mit dem Ergebnis tausender weiterer Tode. Dies ist nicht hinnehmbar, findet aber zunehmend den Zuspruch einer breiteren Bevölkerungsschicht. In einem kapitalistischen System, das auf Konkurrenz anstatt Solidarität aufbaut, verwundert dies nicht. Aus diesen Gründen fordern wir mehr Sichtbarkeit von linker Kritik im öffentlichen Raum, die dabei vor Kapitalismuskritik nicht halt machen darf.
Es gibt bereits einige Ansatzpunkte, welche sich jedoch nur regional oder auf den digitalen Raum (z.B. Kampagne #ZeroCovid) beschränken. Wir müssen tragfähige, idealerweise überregionale, Bündnisse schmieden und unsere eigenen Ideen und Lösungsvorschläge voranbringen. Wir müssen aufzeigen weshalb die Position von Querdenken keine Alternative ist, und es sich lohnt für eine solidarische Gesellschaft zu streiten- besonders in Zeiten der Pandemie. In Mainz hat sich zu diesem Zwecke bereits eine Kampagne (#MenschenStattProfite) gegründet.
Lasst uns einen gemeinsamen Bezugspunkt finden und diesen in die Öffentlichkeit tragen. Es gibt dafür vielfältige Aktionsformen, wie Plakataktionen, Kundgebungen oder auch Demonstrationen. Wir müssen uns die Straße und somit den öffentlichen Raum wieder zurückholen. Wir sind uns sicher, euch fällt noch mehr ein, wie dies gelingen kann. Wir können Querdenken und die Pandemie nur überwinden, wenn wir Alle solidarisch miteinander sind!

3. Säule: Durch Gegenmobilisierung Querdenken den Raum nehmen

Wir finden der wichtigste und ausbaufähigste Punkt, ist eine antifaschistische Gegenmobilisierung. Wie schon erwähnt findet die ideologische Festigung und Hauptmobilisierung von Querdenken im digitalen Raum statt. Hier gibt es wenige Möglichkeiten zu intervenieren. Jedoch sind die Chatteilnehmer*innen online noch immer isoliert. Oft wird sich beschwert, dass Ort XY „noch immer schläft“ und dass sie froh sind in der Telegramgruppe gleichgesinnte getroffen zu haben. Nach dem Motto, „wer die ganze Zeit auf Telegram schreibt, kann keinen Unfug machen“, sollte unsere Maxime sein: Wir können dies nicht verhindern. Wir können nur verhindern, dass sie aus ihrer Echokammer herauskommen und ihre fragwürdigen, menschenverachtenden Inhalte, einer breiteren Bevölkerungsschicht zugänglich machen.
Wir haben erlebt wie jede erfolgreichere große Demonstration von Querdenken das „Wir- Gefühl“ der Demonstrierenden gestärkt hat. Als Ergebnis wurde beobachtet wie eine Radikalisierung sowohl in der Rhetorik, als auch in zukünftigen Aktionsbildern stattgefunden hat. Mit jeder Großmobilisierung, die ohne nennenswerte Gegenrede stattfindet, begreift sich die Querdenker*in mehr als Teil des „Volkes“ und sieht sich somit im Recht. Gleichzeitig erleben wir auch wie eine Demoralisierung einsetzt, wenn eine Querdenken Demonstration erfolgreich blockiert wurde (z.B. am 24.10.2020 in Mainz). Ebenso kann beobachtet werden, wie rechte Redner*innen sich im ganzen Land auf „die Antifa“ anstatt ihrer eigenen „Inhalte“ konzentrieren, wenn es einen lautstarken Gegenprotest gibt. Jeweils ist das Ergebnis, dass größere Mobilisierungen für eine gewisse Zeit ausbleiben, bzw. direkt auf den ländlichen Raum ausgewichen wird, was nicht sehr attraktiv für Akteur*innen von Querdenken ist. Dort haben sie ein erheblich geringeres Mobilisierungspotential und vor Allem weniger „Laufkundschaft“. 
Zusätzlich muss erwähnt werden, dass „die Antifa“ generell als Feindbild in den jeweiligen Gruppen aufgebaut wurde. Alle die Gegenrede äußern, sind für Querdenken, Antifas. Manche Querdenker*innen schreckt dies davor ab auf Demos zu gehen, andere wiederum werden dadurch provoziert. Im besten Falle kann es zu extremen Frusterfahrungen bei diesen Protagonist*innen führen, weil sie der Wut auf den Gegenprotest nicht nachgehen können, wodurch eine Demotivation einsetzt. Allerdings kann dies nur funktionieren, wenn ausreichend viele Gegendemonstrant*innen anwesend sind, ansonsten gibt es eine reale gewalttätige Bedrohung, wenn Antifaschist*innen in zu großer Unterzahl agieren müssen.
Natürlich ist es in Pandemiezeiten herausfordernd physisch zu demonstrieren. Für uns steht außer Frage, dass wir dies gut geschützt, mit FFP2 Maske und genügend Abstand, tun können. Wie bei jeder Kundgebung sollte ein achtsamer und solidarischer Umgang untereinander im Vordergrund stehen. Erstrebenswert ist es auch, lieber mehrere kleine Gegenkundgebungen, anstatt einer Großen anzumelden. Außerdem muss erwähnt werden, dass seit dem letzten Jahr nichts von größeren Ausbrüchen bei Demonstrationen, die sich an Hygieneauflagen gehalten haben, bekannt wurde. Wir erachten das Ansteckungsrisiko gut geschützt im Freien als eher gering. Da jedoch immer ein Restrisiko bleibt, verstehen wir auch Menschen, denen das zu gefährlich ist.
Anders sieht es bei den Querdenkerdemonstrationen aus, wo willentlich gegen bestehende Auflagen verstoßen wurde und wird. Vor Weihnachten 2020 sollen laut einer Studie (https://www.merkur.de/politik/querdenker-proteste-leipzig-berlin-studie-21-000-corona-infektionen-zew-humboldt-universitaet-90199045.html) nach Querdenken Protesten in Berlin und Leipzig die Fallzahlen stark gestiegen sein. Wir sehen das als Spirale, die uns von Lockdown zu Lockdown bringt. Auf den Staat ist hierbei kein Verlass. Deshalb müssen wir abwägen zwischen Eigenschutz und der Solidarität mit den Vielen. In dieser Abwägung ist uns bewusst geworden, dass wesentlich mehr Menschen durch Querdenken, direkt und indirekt, gefährdet werden, als auf Gegenkundgebungen, weshalb das Risiko für uns vertretbar erscheint. Wir setzen hierbei auf das Konzept der Eigenverantwortung. Auch wenn uns bewusst ist, das dieses Konzept gesellschaftlich betrachtet gescheitert ist. Nur wenn wir selbst in unseren linken Strukturen Eigenverantwortung nicht leben können, können wir auch direkt jeden emanzipatorischen Anspruch an uns ablegen.
Natürlich können dies alles einzelne Antifa-Gruppen nicht allein bewältigen. Hierfür braucht es die ganze Zivilgesellschaft sowie breite Bevölkerungsschichten. Solidarisch durch die Pandemie heißt auch solidarisch gemeinsam politisch kämpfen. In Anbetracht dieser neuen autoritären Formierung kann es keine Lösung sein zu warten und zu hoffen, dass Querdenken von alleine wieder verschwindet. Das werden sie nicht. Antifa bleibt Handarbeit!